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Von Grenzen, Rivalitäten und gesellschaftlichem Nutzen – im Spannungsfeld der Geistes- und Naturwissenschaften

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20.07.18

Interview mit Fabian Krämer, AG „Zwei Kulturen der Wissenschaften“, über die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Jungen Akademie

Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist ein zentraler Aspekt der Arbeitsweise der Jungen Akademie. Aber was heißt das eigentlich und wie organisieren sich die Mitglieder? Eine mögliche Arbeitsform sind die AGs, also die Arbeitsgruppen. Diese werden durch das Plenum der Jungen Akademie eingerichtet und stehen allen interessierten Mitgliedern offen. Über 40 gab es bereits. 2018 wollen wir die derzeit aktiven AGs vorstellen und haben dazu die jeweiligen Sprecherinnen und Sprechern befragt.

Fabian Krämer ist seit 2015 Mitglied der Jungen Akademie. Auf seine Initiative hin ist die AG „Zwei Kulturen der Wissenschaften“ 2016 ins Leben gerufen worden. Er arbeitet seit 2012 am Lehrstuhl für Wissenschaftsgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Von 2016 bis 2017 verbrachte er einen einjährigen Forschungsaufenthalt an der Columbia University in New York. Besonders interessiert ihn die Geschichte des Gegensatzes zwischen den Geistes- und den Naturwissenschaften. In seiner mehrfach ausgezeichneten Dissertation von 2012 hat er gezeigt, dass die sogenannte „Wissenschaftliche Revolution“ der Frühen Neuzeit nicht, wie lange angenommen, eine Abkehr vom Bücherwissen und eine Hinwendung zum „Buch der Natur“ darstellte. Im Gegenteil: Lesepraktiken, die wir heute einseitig mit den Geisteswissenschaften verbinden, blieben auch weiterhin für die Naturforschung zentral.

Die fächerübergreifenden Arbeitsgruppen sind das „Herzstück“ der Jungen Akademie. Was macht diese Arbeitsform für Dich so attraktiv? Die Grenzziehungen des akademischen Systems bedürfen aus Sicht unserer Arbeitsgruppe einer kritischen Reflexion. Das gilt gerade in Zeiten der ubiquitären Forderung nach Interdisziplinarität. Nur wenn wir verstehen, was Disziplinen und Disziplingruppen voneinander trennt und was sie verbindet, können wir einschätzen, über welche Fächergrenze hinaus eine Zusammenarbeit eigentlich wünschenswert und sachdienlich ist, und absehen, welche Schwierigkeiten dabei auftauchen. Für die Diskussion solcher Fragen ist das Format der Arbeitsgruppen der Jungen Akademie ideal. Gerade für unsere AG zu den „Zwei Kulturen der Wissenschaften“ ist es ein Geschenk, wie leicht wir in der Jungen Akademie mit den Vertreter*innen unterschiedlicher Fächer ins Gespräch kommen – auch über die vermeintlich unüberbrückbare Kluft zwischen den Geistes- und den Naturwissenschaften hinweg. Die obigen Fragen treiben mich als Wissenschaftshistoriker auch außerhalb der Jungen Akademie um. Ich schreibe gerade mein zweites Buch dazu, wie die Trennung der sprichwörtlichen „zwei Kulturen“, der Geistes- und Naturwissenschaften entstanden ist. Unter anderem deswegen habe ich die AG „Zwei Kulturen der Wissenschaften“ auch gleich nach meiner Aufnahme in die Jungen Akademie initiiert.

Du bist seit 2015 Mitglied der Jungen Akademie. Außerdem bist du Sprecher der AG „Zwei Kulturen der Wissenschaften“. Welches Projekt, an dem Ihr gemeinsam gearbeitet habt, ist Dir in besonderer Erinnerung geblieben? Wie viele andere AG-Mitglieder habe ich unseren ersten Workshop in besonders positiver Erinnerung. Wir haben uns im September 2016 am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte getroffen und aus unserer jeweiligen Arbeit heraus kurze Vorträge darüber gehalten und diskutiert, wie sich Grenzziehungen zwischen den Geistes- und den Naturwissenschaften in unseren jeweiligen Arbeitszusammenhängen niederschlagen. Drei Vorträge haben außerdem die Frage nach der Geschichte dieser Grenzziehungen gestellt, darunter der des externen Gasts, Gunhild Berg (Innsbruck), die über die grenzmarkierende Rolle des Experiments gesprochen hat. Es hat sich gezeigt, dass die Trennung häufig eher institutionell als sachlich begründet ist, wenn beispielsweise der Dualismus zwischen Literaturwissenschaft und Sprachwissenschaft im Studium der modernen Philologien zu Rivalitäten führt. Die Veranstaltung war mit Blick auf die unterschiedlichen Fächerkulturen extrem erhellend. So sehr, dass wir sie gerade als Blaupause für einen zweiten Workshop verwendet haben, den wir im Juni an der Universität Frankfurt durchgeführt haben.

In der AG sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus ganz unterschiedlichen Fachrichtungen versammelt. An welchen Stellen war dieser interdisziplinäre Ansatz für den Erkenntnisgewinn besonders wichtig? Die interdisziplinäre Arbeitsweise ist für unsere Arbeitsgruppe natürlich zentral; das ergibt sich aus der Thematik. Aber wir nutzen interdisziplinäres Arbeiten nicht nur als Werkzeug, sondern tragen umgekehrt etwas zur Reflexion der Interdisziplinarität selbst bei. Schließlich fragen wir danach, wie akademische Disziplinen sich zueinander verhalten und ob die landläufige Einteilung in zwei „Kulturen“, die der Geistes- und Naturwissenschaften, oder auch in drei „Kulturen“, mit den Sozialwissenschaften als eigenständiger „Kultur“, eigentlich überzeugt. Es ist übrigens interessant zu sehen, dass auch in der Wirtschaft eine Entwicklung hin zur Zusammenarbeit über Ressortgrenzen hinaus stattfindet. Nach einer langen Phase der Spezialisierung ist nun das grenzüberschreitende Arbeiten verstärkt gefordert - ohne dass dabei die Grenzziehungen selbst verschwänden.

Woran arbeitet Ihr aktuell? Derzeit arbeiten wir primär an zwei Veranstaltungen:

  1. Für den 12. und 13. Oktober 2018 laden wir den britischen Kulturhistoriker Peter Burke nach Berlin ein, um mit ihm über sein aktuelles Buchprojekt über Geschichte und Funktion der Figur des Universalgelehrten zu sprechen. Am 12. Oktober wird er einen öffentlichen Abendvortrag halten, in dessen Rahmen sich auch die AG präsentieren wird. Interessierte sind herzlich willkommen! Am 13. werden die AG-Mitglieder das Privileg haben, mit Peter Burke über Teile seines unveröffentlichten Manuskript zu sprechen, die er uns vorab zukommen lässt. Die Figur des Universalgelehrten ist auch für uns zentral, stellt sie doch ein Gegenmodell zur Spezialisierung in den Wissenschaften und somit auch zur Trennung in Fächergruppen wie Geistes- und Naturwissenschaften dar. Sicher können beide Seiten viel voneinander lernen.
  2. Für 2019 wollen wir eine Konferenz zu „Landkarten des Wissens in Geschichte, Gegenwart und Zukunft“ organisieren. Wir wollen uns mit externen ExpertInnen darüber austauschen, wie sich das Verhältnis der Disziplinen zueinander, wie wir es heute kennen, entwickelt hat, in welchem Verhältnis die Fächer heute zueinander stehen, und welche zukünftigen Entwicklungen sich abzeichnen. Ist die Unterscheidung zweier Kulturen – literary und scientific culture –, wie sie der britische Romanautor und Naturwissenschaftler C.P. Snow in den 1950er Jahren vorgeschlagen hat, überhaupt (noch) stimmig? Wann entwickelten sich die Natur- und Geisteswissenschaften in unterschiedlichen Ländern auseinander? Welche weiteren Grenzziehungen gibt es, welche gewinnen derzeit an Bedeutung? Wo ist die Informatik verortet, und welche Folgen wird die Digitalisierung für die Landkarte des Wissens haben? In diesem Kontext: Welche Grenzziehung wird da gerade in den USA unter dem Stichwort „Techie vs. Fuzzy“ verhandelt, wenn etwa diskutiert wird, welche wichtigen Impulse die Geisteswissenschaften (genauer: die liberal arts des amerikanischen Hochschulsystems) der IT-Branche geben können.

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